Ich hab’s ja gewusst! Das hätte ich kommen sehen müssen! War ja klar, dass das passiert!
Kennst du solche Sätze? Ein Ereignis passiert und du denkst, das Ergebnis war vorhersehbar? Das ging mir auch häufig so, bis ich im Podcast eines bekannten deutschen Psychologen auf den Rückschaufehler gestoßen bin. Der Rückschaufehler ist ein Phänomen aus der Gedächtnisforschung und wurde erstmals 1975 untersucht. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an spannenden Studien dazu. Er passiert uns täglich und in allen Lebenslagen.
Beim Rückschaufehler verändert das Wissen über ein Ereignis die Deutung und Wertung aller Informationen, die wir vorher hatten. Somit verschiebt sich unsere komplette Wahrnehmung. Die später hinzugekommen Informationen überlagern die vorherigen. Besonders wenn es um Schuld oder Verantwortung geht, spielt der Rückschaufehler eine große Rolle. Der Mensch sucht in der Regel nach Antworten und Bestätigung für sein Handeln. Und unser Gehirn ist zusätzlich gezwungen die Geschichte für unser internales Weltbild in Form zu bringen. Offene Enden mag es gar nicht. So verzetteln wir uns im Detail und verlieren das große Ganze aus dem Blick.
Ein Beispiel: Dein Freund/deine Freundin trennt sich von dir. Es lief schon eine Weile nicht so gut. Du fällst aus allen Wolken und bist ziemlich bestürzt. Einige Tage später erfährst du, dass es eine Affaire gab und du monatelang betrogen wurdest. Wie klar war es also, dass du verlassen wirst – vor der neuen Information und danach? Bewertest du rückwirkend eure letzten Monate anders?
Besonders häufig zeigt sich der Rückschaufehler bei Menschen mit einem ausgeprägten Drang nach Sicherheit. Also Menschen, mit einer sehr geordneten Weltsicht. Denn gerade hier zwingt das Gehirn sie zu einer in sich schlüssigen Geschichte und zu einem für sie und ihr Wertesystem vertretbaren Ende. Bei diesen Menschen passt es nicht ins Bild, wenn sie überrascht werden und etwas nicht haben kommen sehen.
Fachkenntnisse haben im Übrigen keinen Einfluss auf das Phänomen, denn auch bei Expertengruppen wurden bereits der Rückschaufehler entdeckt. Zum Beispiel bei Ärzten oder Richtern. Besonders im Strafrecht wird oft erst geurteilt, wenn ein Ereignis schon eingetreten ist. In Puncto Fahrlässigkeit z.B. soll die Vorhersehbarkeit eines Ereignisses bewertet werden, unabhängig von dessen Ausgang. Geurteilt wird aber, wenn das Ergebnis schon vorliegt. Klarer wird es anhand eines Beispiels: Konnte der Raser vorhersehen, dass eine Person sterben wird, wenn er mit 180 km/h durch die Innenstadt fährt?
Warum ist es also so wichtig sich des Rückschaufehlers bewusst zu sein? Das Wissen über die Verschiebung der Wahrnehmung kann dich davor bewahren dir im Nachhinein einzureden du hättest vorher schon alles gewusst. Andernfalls kann es schwierig sein die Gründe, die zu einem Ergebnis geführt haben, richtig zu beurteilen, daraus zu lernen und ggf. in Zukunft anders zu handeln. Es bewahrt uns außerdem vor dem Denkfehler, wir hätten etwas ändern können. Denn wenn uns wichtige Informationen fehlen, können wir eben nur auf Grundlage dessen handeln, was uns zur Verfügung steht. Hinterher ist man nun mal eben schlauer als vorher.
Fällt dir ein Rückschaufehler ein, der dir passiert ist?